18.1.2024

Erklärung zu meiner Ablehnung des Rückführungsverbesserungsgesetzes

Bis zuletzt habe ich mit meiner Zustimmung zum Rückführungsverbesserungsgesetz gerungen. Anlässlich der Debatte und der Abstimmung heute im Deutschen Bundestag, möchte ich meine Bedenken und Zweifel transparent machen und erklären, warum ich dem Gesetz nicht zustimmen werde:

Flucht ist eine globale Realität und hat vielfältige Ursachen. In den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl der Menschen auf der Flucht mehr als verdoppelt: nun sind es über 100 Millionen weltweit. Deutschland hat in den letzten Jahren viele Schutzsuchende aus Krisenregionen aufgenommen, darunter mehr als eine Millionen Menschen aus der Ukraine, die durch den russischen Angriffskrieg fliehen mussten. Zudem suchen vor allem Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und der Türkei Schutz in Deutschland.

Die Unterbringung und Versorgung dieser Menschen sind ein Kraftakt und stellen die Kommunen und Städte vor Herausforderungen. Politische Maßnahmen müssen diesen Herausforderungen sachlich begegnen und sich als wirksam erweisen. Hier bedarf es Lösungen, die Kommunen effektiv unterstützen und eine dauerhafte Finanzierung und Planungssicherheit für die Gemeinden garantieren. Das Rückführungsverbesserungsgesetz umfasst Änderungen in Bezug auf die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes und des Asylgesetzes und basiert auf einem einstimmigen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz, welcher eine Vielzahl an klaren Forderungen beinhaltet. Das Gesetzespaket wird auch damit begründet, dass es zu einer Entlastung von Kommunen beitragen würde. Ein Zusammenhang zwischen den angestrebten Verschärfungen und einer tatsächlichen Entlastung von Kommunen ist in der Praxis nicht absehbar.

Ich selbst bin mit meiner Familie Anfang der 90er Jahre nach Deutschland geflüchtet und habe ein sehr langwieriges Asylverfahren durchlaufen. Durch den „Asylkompromiss“ wurde 1993 das Grundrecht auf Asyl in Deutschland stark eingeschränkt, diese Beschlüsse wirken bis heute nach. Auch meine Familie war davon betroffen. Zunächst nur mit dem Status einer Duldung, habe ich erfahren, welche Härte damit einhergehende Unsicherheiten bedeuten. Aus eigener Erfahrung weiß ich zudem, dass der Anspruch an effiziente, faire und gute Asylverfahren in der Praxis nicht immer erfüllt wird. Hier bedarf es stärkerer Unterstützung und Begleitung der Asylsuchenden aber auch eine Entlastung der behördlichen Strukturen.

Die im Rückführungsverbesserungsgesetz vorgesehene Strafvorschrift zu falschen oder unvollständigen Angaben bei der Identitätsfeststellung im Asylverfahren konnte im parlamentarischen Verfahren durch den Zusatz „wider besseres Wissen“ entschärft werden. Gleichwohl wird dabei die Realität von Flucht verkannt: Traumata, Gewalterfahrungen, Furcht und Scham wirken sich auf die Erinnerung und die Wiedergabe

der persönlichen Fluchtgeschichte aus. Durch die Ermächtigungsgrundlage besteht in der Praxis die Gefahr, dass diesen individuellen Hintergründen und Erlebnissen nicht in angemessener Weise Rechnung getragen wird.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass gegenüber dem Recht der Sozialhilfe abgesenkte Leistungen für Geflüchtete nur möglich sind, wenn durch den kurzfristigen Aufenthalt tatsächlich ein geringerer Bedarf entsteht. Bei einer Ausweitung des Asylbewerberleistungsgesetzes von 18 auf 36 Monate kann nicht von einem kurzen Aufenthalt ausgegangen werden. Dabei ist menschenwürdiges Existenzminimum unabhängig vom Aufenthaltsstatus verfassungsrechtlich verbürgt.

Die Ausweitung des Ausreisegewahrsams, die Verschärfungen der Abschiebungshaft sowie die Durchsuchungen von Zimmern Dritter in Gemeinschaftsunterkünften stellen erhebliche Eingriffe in fundamentale Grundrechte, wie das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Freiheit dar. Diese Ausweitungen bedeuten neue Härten für viele Menschen. So wird durch das Eindringen in die privaten Räume anderer Bewohner*innen in Gemeinschaftsunterkünften in die Rechte von Menschen eingegriffen, gegen die sich die zugrundeliegende Abschiebung gar nicht richtet. Zudem widerspricht die Ausweitung der Abschiebehaft dem Grundsatz der ultima ratio der Inhaftierung. Bislang bestehen keine objektiven Erkenntnisse darüber, dass eine Verschärfung der Abschiebehaft und eine vermehrte Inhaftierung von Ausreisepflichtigen zu einer signifikanten Erhöhung der Abschiebezahlen führt. Die Freiheitsentziehung ist der schwerste Eingriff in das Recht auf Freiheit, sodass Verhältnismäßigkeit hier von erheblicher Bedeutung ist.

Feststeht, dass im Rahmen des Gesetzentwurfes nur begrenzte Möglichkeiten für Verhandlungen bestanden haben und das Gesetz aus einer Grünen Feder ganz anders aussehen würde. Dennoch konnten deutliche Verbesserungen erreicht werden, u.a. im Bürokratieabbau und einem schnelleren Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete und Geduldete sowie beim Rechtsschutz für Familien und Minderjährige. Auch ist die rechtliche Beratung durch die Pflichtbeiordnung von Rechtsanwält*innen bei Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam eine wichtige Verbesserung für Betroffene.

Trotz einiger Verbesserungen komme ich in der Gesamtschau des Gesetzpaketes zu dem Schluss, dass mir aus einer persönlichen Gewissensentscheidung heraus keine Zustimmung zum Gesetz möglich ist. Für die Kommunen bedeutet das Rückführungsverbesserungsgesetz höchstens geringfügige Entlastungen, zudem bietet es nur unzureichend nachhaltige Lösungen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten. Dies ist dem massiven Einschnitt in die Grundrechte von Schutzsuchenden gegenüberzustellen. Aus diesem Grund kann ich dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen.

Schahina Gambir