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12.5.2025

Offener Brief an die Ärztinnen und Ärzte in Minden-Lübbecke ME/CFS: Eine schwere Erkrankung braucht Ihre Aufmerksamkeit

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Ärztinnen und Ärzte,

als Abgeordnete und Vertreter*innen der öffentlichen Hand wenden wir uns heute mit einem gemein-samen Anliegen an Sie: Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwerwiegende, chronische Erkrankung, die das Leben von über 620.000 Menschen in Deutsch-land massiv einschränkt. Auch in unserem Mühlenkreis sind viele Menschen von ME/CFS betroffen und mit einigen von Ihnen konnten wir uns in den letzten Jahren austauschen. Viele Betroffene fühlen sich vom Gesundheitssystem im Stich gelassen – mit zum Teil dramatischen Folgen. Anlässlich des In-ternationalen ME/CFS-Tags 2025 wende ich mich mit dem Anliegen der Betroffenen an Sie, um Sie um Ihre Unterstützung zu bitten.

ME/CFS ist keine seltene Erkrankung. Sie ist eine stille Gesundheitskrise.
Sie tritt häufig nach Virusinfektionen – darunter auch COVID-19 – auf, betrifft mehrere Organsysteme und zeichnet sich insbesondere durch das Leitsymptom Post-Exertionelle Malaise (PEM) aus: eine massive Verschlechterung des Zustands nach geringster körperlicher oder geistiger Anstrengung. Be-reits ein kurzer Spaziergang oder eine Unterhaltung kann tage- bis wochenlange, oder auch dauerhaft, anhaltende,
schwere Symptome auslösen – in schweren Fällen können selbst Tageslicht oder Geräusche solche Krisen auslösen.

ME/CFS ist kein psychisches Leiden, sondern eine neuroimmunologische Multisystemerkrankung, die nach heutigem Stand der Wissenschaft nicht heilbar ist, jedoch durch frühe Diagnose, Aufklärung und adäquates Management positiv beeinflusst werden kann.

Doch die Realität sieht oft anders aus:
• Rund 90 % der Betroffenen erhalten keine Diagnose oder eine Fehldiagnose.
• Es mangelt an spezialisierten Anlaufstellen, Forschung, wirksamen Therapieoptionen und auch an ärztlichem Wissen.
• Falsche Behandlungen – insbesondere Aktivierungstherapien – können zu schwerwiegenden Verschlechterungen führen.
• Viele Betroffene werden psychologisiert, stigmatisiert oder alleingelassen.
• Ein Viertel der Erkrankten ist dauerhaft bettlägerig – ohne angemessene Versorgung oder Pflege.
Als Politiker*innen sehen wir es als unsere Verantwortung, auf diese Missstände hinzuweisen – und Impulse für Veränderung zu setzen. Mit der Einrichtung des Runden Tisches Long COVID, der For-schungsförderung des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die explizit die Forschung zu ME/CFS einschließt, sowie der Formulierung der Long-COVID-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses hat die letzte Bundesregierung wichtige Schrit-te zur Verbesserung der Situation von ME/CFS-Betroffenen unternommen.

Wir möchten uns in den nächsten Jahren dafür einsetzen, dass die Situation der Betroffenen weiter verbessert wird und wir gemeinsam handeln. Aber: Für echte Verbesserungen braucht es Ihre Unter-stützung.

Was können Sie konkret tun?
• Nehmen Sie ME/CFS ernst. Vertrauen Sie der Erfahrungsrealität der Patientinnen und Patienten.
• Pacing – der wichtigste Therapieansatz. Derzeit existiert keine ursächliche Behandlung für ME/CFS. Als wichtigste Maßnahme hat sich das sogenannte Pacing erwiesen. Dabei geht es darum, körperliche und geistige Überanstrengung konsequent zu vermeiden, um
• Zustandsverschlechterungen (PEM) zu verhindern. Dieser Ansatz ist laut aktueller Studienlage für viele Betroffene der einzige Weg, Stabilität zu erreichen. Informationsmaterial zum Pacing stellt z. B. die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS zur Verfügung.
• Unterstützen Sie die korrekte Diagnostik und setzen Sie sich für eine angemessene, symptomorientierte Versorgung ein.
• Nutzen Sie Fort- und Weiterbildungsangebote, um Ihr Wissen auf den neuesten Stand zu bringen.
• Die Charité bietet beispielsweise ein kostenloses Webinar zum Thema an, das jederzeit abrufbar ist und für das auch Fortbildungspunkte erworben werden können. Das ist ein tolles Angebot, an dem viele der in Deutschland führenden Spezialist*innen zum Thema beteiligt sind.
• Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS hat Informationsblätter zu verschiedenen medizinischen Bereichen (z.B. Pacing, Diagnostik, Krankenhausaufenthalt, Physiotherapie, Psychotherapie) zusammengestellt, die kostenlos heruntergeladen werden können.
Tragen wir gemeinsam dazu bei, das gesellschaftliche und medizinische Verständnis dieser Erkrankung zu verändern!

Die Zahl der Betroffenen wächst – nicht zuletzt durch Long COVID.
Viele Menschen kämpfen um Anerkennung, Unterstützung und schlicht: ums Überleben. ME/CFS ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Deshalb setzen wir uns im politischen Raum für mehr Forschung, Versorgung und Anerkennung ein. Aber nur durch Ihre Mitwirkung als medizinische Fach-kräfte kann es konkrete Verbesserung im Alltag der Betroffenen geben. Lassen Sie uns gemeinsam Verantwortung übernehmen – für hunderttausende Menschen, die nicht länger übersehen werden dürfen.

Mit herzlichem Dank für Ihre wichtige Arbeit und freundlichen Grüßen

Schahina Gambir MdB Benjamin Rauer MdL